28. Februar 2023

Aus der Serie "Rennbericht von Gilles Roulin": Keine WM-Abfahrt für mich in Courchevel

Das grösste Skigebiet der Welt – les trois vallées – ein wunderschönes Dorf mit unzähligen Chalets in wunderbaren Holz-Stein-Kombinationen gehalten, très chique, doch das alles interessierte mich in dem Moment nicht. Die Startuhr hat soeben den 10 Sekunden Countdown gepiepst. Noch einmal tief durchatmen, bevor es losgeht.

Das erste Training an der Weltmeisterschaft in Courchevel war sehr wichtig, denn es sollte vor der Team internen Qualifikation das einzige sein. In dieser ging es zwischen vier Athleten um die letzten zwei Startplätze für die WM-Abfahrt.

Ich atmete aus und stiess mich aus dem Starthaus. Zwei Gleitkurven, in denen ich versuchte möglichst klein zu bleiben und dann ein erster Sprung über gut 35 Meter. Erste doppel Links, direkt darauf folgend doppel Rechts – alles in Position, dann ein Einzeltor nach links über eine Welle – das nächste doppel Rechts war nicht zu sehen (ein sogenanntes blindes Tor). Ich kam etwas tiefer als erwartet in dieses blinde doppel Rechts und wurde etwas nach hinten gedrückt. Keine ideale Position, um über eine Welle zu fahren aber nicht weiter schlimm. Ich leite den Linksschwung ein. Es drückt mich nach hinten und plötzlich verkantet der Innenski. Anstatt den Druck aufzunehmen und sich in die Biegelinie nach links zu verformen, drückt sich meine Skispitze in die falsche Richtung.

Es geht viel zu schnell und bevor ich weiss wie mir geschieht, oder was genau passiert ist, fahre ich mit 117 Km/h geradeaus auf die B-Netze (die roten Netze am Pistenrand zu). Die Zeit ist zu knapp, ausweichen ist keine Option mehr. Ich kann den Sturz nur noch hinnehmen und geschehen lassen, also lasse ich mich in die Netze fallen. Von 117 Km/h auf null in ca. 20 Metern. Der erste Gedanke – Scheisse – jetzt habe ich keine Trainingsfahrt vor der Quali, zweiter Gedanke – tut mir etwas weh? Nein ich glaube ich hatte grosses Glück. Ich hebe meine Hand um zu signalisieren, dass alles in Ordnung ist und freue mich über eine Helferin, die herbeigeeilt kommt und mich aus den Netzen befreit…

Es ist Freitag – wieder stehe ich am Start der WM-Abfahrt von Courchevel, nur ist es diesmal richtig ernst. Die Quali für das Rennen vom Sonntag steht an. Ich weiss, dass es sehr, sehr schwierig wird gegen die anderen drei, welche die Strecke alle schon mindestens einmal befahren konnten. Trotzdem habe ich nur einen Gedanken im Kopf: So schnell wie möglich ins Ziel zu kommen.

Es folgt eine solide Fahrt, jedoch keine fehlerlose. Ich schwinge im Ziel ab und denke für mich, Mist, jetzt brauche ich etwas Schützenhilfe. Wenn die anderen beiden, welche noch oben sind, einen fehlerfreien Lauf erwischen, reicht es für mich nicht für die Qualifikation. Ich bin hin- und hergerissen. Eigentlich war ich stolz auf meine Leistung. Nach einem wirklich heftigen Sturz, notabene dem ersten heftigen meiner Karriere, und ohne Training auf dieser Strecke, waren meine Zeit und mein Rang am Ende des Trainings doch beachtlich. Leider hat mich mein Gefühl nicht getäuscht und die anderen beiden Teamkollegen haben grossartige Fahrten die Strecke runtergezogen und sich beide vor mich platziert. Für mich bedeutete dies, dass der WM-Traum geplatzt war und ich wieder nach Hause fahren konnte. Eine bittere Enttäuschung, an der ich einige Tage zu kauen hatte, bis ich sie schliesslich verdauen konnte.

Die Medaille von Odi am Sonntag und auch die guten Leistungen der weiteren Schweizer mit Niels, Justin und Alexis haben meine Laune jedoch bereits wieder gebessert und auch dank des dichten Rennkalenders bleibt keine Zeit, um Trübsal zu blasen. In einer Woche geht es bereits nach Aspen, wo die letzten Abfahrten und der letzte Super-G im regulären Weltcup-Kalender anstehen.

Gilles

 

 

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